FILMPROJEKT CHAMÄLEONS
Ein lang gehegtes und gepflegtes Projekt ist fertig geworden: der künstlerische Dokumentarfilm über die Instrumental- und Gesangslehrenden, die sich in jede gegebene Situation einfühlen und sich ihr anpassen müssen: kreativ, kommunikativ und flexibel - wie ein Chamäleon. Ein Film über die Vielfalt der Berufsfelder von Instrumental- und Gesangslehrenden und die vielen möglichen Ansätze des Musizierens. Chamäleons bietet einen Blick hinter die Kulissen des Musizierens mit einem Beitrag zu Diversität, Inklusion und Identität in der Instrumental- und Gesangspädagogik. Wie und wo arbeiten die Instrumental- und Gesangslehrkräfte eigentlich?
WISSENSTRANSFERPROJEKTE
Wissenstransfer an der Kunstuniversität Graz
Seit Anfang der 1980er Jahre hat sich die Instrumental- und Gesangspädagogik (IGP) als eigener Studiengang innerhalb der Musikpädagogik entwickelt. Die wachsende Anzahl von Lehrstühlen im universitären Bereich, die Weiterentwicklung der Curricula, vermehrte wissenschaftliche Studien über instrumental- und gesangspädagogische Fragestellungen sowie eine wachsende internationale wissenschaftliche Community in der Musikpädagogik führten zu einem Anwachsen von didaktischen und wissenschaftlichen Publikationen und die Instrumental- und Gesangspädagogik konnte sich schließlich als künstlerisch-pädagogisch-wissenschaftliches Studienfach etablieren. Weiterhin hat die Instrumental- und Gesangspädagogik durch fortwährende Veränderungen in den Praxisfeldern in den letzten Jahrzehnten eine beträchtliche Entwicklungsdynamik entfaltet. Vor allem die Zusammenarbeit mit einschlägigen Nachbardisziplinen wie Musikpsychologie, Pädagogik, Soziologie und Neurowissenschaft und die daraus gewachsene Interdisziplinarität führen seit den 1990er Jahren zu zahlreichen Paradigmenwechseln im Fach. „Das lehrerzentrierte Meister-Schüler-Modell löst sich [...|allmählich auf und der pädagogische Diskurs verschiebt sich von den Lehrenden zu den Lernenden sowie vom musikalischen Produkt zum musikalischen Prozess.“ (Kruse-Weber & Marin, 2016, S. 159). Dieses Umdenken ist bisher wenig in die Praxis bzw. in die Musikschulen und in die Instrumentalausbildung gelangt: Traditionelle Lehr- und Lernformen wie das „Meister-Schüler-Verhältnis“ sind im Instrumental- und Gesangsunterricht wahrscheinlich nach wie vor vorherrschend. Es fehlt ein entsprechender Wissenstransfer, der es ermöglicht, bestehende Wissensbarrieren zu überbrücken. Die Instrumental- und Gesangspädagogik steht als „Handlungswissenschaft“ (Busch 2016, S. 11) in einem komplexen Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Während einerseits eine „enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis“ im Fach gesehen wird, ist seit den 1980er Jahren ein eher einseitiges Praxispostulat zu beobachten (Kruse-Weber 2018, S. 117).
In den Jahren 2016-2018 wurde am Institut für Musikpädagogik im Fachbereich Instrumental- und Gesangspädagogik (IGP) das Wissenstransferprojekt Netzwerk IGP durchgeführt. Die 12 Teilnehmer_innen dieses Wissenstransferprojektes, Lehrende der Kunstuniversität Graz, betreuen die Lehrpraxis und Instrumental- und Gesangsdidaktik. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrende an der Universität sind viele der Teilnehmer/innen an steirischen Musikschulen tätig, unterrichten sowohl Kinder als auch Jugendliche und Erwachsene, leiten Chöre, verschiedene Ensembles oder musikalische Früherziehungsgruppen; sie gehen verschiedensten Vereinstätigkeiten nach und stehen nicht zuletzt mit eigenen künstlerischen Projekten auf der Bühne. Sie agieren also einerseits als Multiplikatoren durch die Vermittlung instrumental- und gesangspädagogischer Expertise und andererseits als Kulturschaffende der Steiermark bzw. in Österreich. Die Projektteilnehmer_innen und ihr jeweiliges Fach, die Lehrpraxis, bilden also gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis innerhalb der musikausbildenden Institutionen in der Steiermark. Ziel dieses Wissenstransferprojektes in den Jahren 2016-2018 war es, den Professionalisierungs- und Wissenstransfer-Prozess in der Berufsgruppe der Instrumental- und Gesangslehrkräfte zu stärken. Mithilfe des Netzwerks sollte das vielfältige Wissen – zum Beispiel auch das Erfahrungswissen der Projektteilnehmer/innen, welches neben den Erkenntnissen aus der instrumental- und gesangspädagogischen Forschung eine wichtige Ressource darstellt – zusammengeführt, weitergegeben und weiterentwickelt werden und der Ausbildung der Instrumentallehrkräfte zugutekommen. Im Fokus stand die nachhaltige Optimierung des Lernens und Lehrens in der breit angelegten Bildungslandschaft von Musiker_innen und Musiklehrenden, um den komplexen Herausforderungen in den Berufsfeldern gerecht zu werden. Ein intensiver fachdidaktischer Austausch und die Erprobung innovativ-kooperativer Reflexionsprinzipien kennzeichnete das Projekt. Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass das Wirkungsfeld der Instrumental- und Gesangspädagogik von symmetrischer Kommunikation, Respekt und Wertschätzung getragen sein muss, um Wissenstransfer zu ermöglichen.
Wissenstransfer zwischen Musikschule Weiz und Kunstuniversität Graz
Aufgrund seiner hohen Relevanz beschließen die Projektteilnehmer_innen des Netzwerk IGP 2018 das Wissenstransferprojekt auch für das Praxisfeld Musikschule zu öffnen und weiterzuführen. Es entsteht das Folgeprojekt Netzwerk IGP-Go. Dieses verfolgt den Wissenstransfer im fachlichen Austausch zwischen acht Lehrenden der Kunstuniversität Graz und 12 kollaborativen Musikschullehrkräften der Musikschule Weiz (mit Direktor Josef Bratl). Das Netzwerk IGP-Go wird inklusive seiner wissenschaftlichen Auswertung bis Ende 2021 laufen, um die Erkenntnisse für den Bezug von Theorie und Praxis im Instrumental- und Gesangsunterricht weiterzuentwickeln und auszuwerten. Im wechselseitigen Wissenstransfer sollen hierbei das Erfahrungswissen der Musiklehrkräfte verstärkt in die Ausbildung der Instrumental- und Gesangslehrkräfte an der KUG fließen und auch Erkenntnisse und Haltungen einer zeitgemäßen Instrumental- und Gesangspädagogik verstärkt in die Arbeit der Musikschulkräfte gelangen. Ziel ist es, die Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis in der IGP durchlässiger zu gestalten. Die Lehrenden der Kunstuniversität Graz kommen seit Beginn 2020 für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch an die Musikschule Weiz und reflektieren mit den Musikschullehrenden über Themen wie zum Beispiel Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung von Unterricht auf Basis videografierter Unterrichtssequenzen. Mittels Einführung innovativer Reflexionstools, die durch die europäische Hochschulinitiative The Innovative Conservatoire (ICON) zur Weiterentwicklung der künstlerischen Ausbildung inspiriert sind, soll der Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis in beide Richtungen gefördert werden. Ein weiteres Ziel ist die Erweiterung von Handlungsspielräumen der Lehrenden und Gewinnung neuer Perspektiven sowie die Stärkung der Reflexionskompetenz. Hierbei ist das Erfahren von gegenseitiger Wertschätzung zentral. Schließlich erhoffen wir uns, dass die Kolleg_innen der Musikschule ein noch stärkeres Teambuilding erleben, eine differenzierte Sensibilität für die Facetten der Kommunikation und eine höhere Berufszufriedenheit erfahren können. Dieses Projekt könnte als Best-Practice-Modell auch für andere Kooperationen Bedeutung gewinnen. Die Musikschullehrenden wirken am Ende als Multiplikator_innen.
Das Netzwerk IGP-Go ist ein Teilprojekt einer Forschungskooperation des Wissenstransferzentrums (WTZ) Süd, das von der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft (aws) aus Mitteln der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung (Österreich-Fonds) gefördert wird. Beide Wissenstransferprojekte werden von Prof.in Dr.in Silke Kruse-Weber geleitet. Im Netzwerk IGP-Go wirken unterstützend die beiden Projektmitarbeiterinnen Univ. Ass. Margareth Tumler und Sandra Macher.
Literatur:
Busch, B. (2016). Grundwissen Instrumentalpädagogik. Ein Wegweiser für Studium und Beruf. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel.
Kruse-Weber, S. (2018). Instrumentalpädagogik im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Kollaborative Reflexion von Lehrenden im Musik(hoch)schulkontext. In W. Rüdiger (Hrsg.), Instrumentalpädagogik – Wie und Wozu? Entwicklungsstand und Perspektiven (S. 107-139). Mainz: Schott.
WIE EIN CHAMÄLEON!
Musikerinnen und Musiker müssen sich heute flexibel den unterschiedlichsten Herausforderungen stellen
Rineke Smilde - Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2017, Seite 06
Die Arbeit von BerufsmusikerInnen hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren erheblich verändert. Musikerinnen und Musiker müssen jetzt in verschiedenen kulturellen Kontexten und in wechselnden Rollen tätig sein. Sie haben keine „Jobs auf Lebenszeit“ mehr, sondern flexible Karrieren. Sie sind zunehmend selbstständig und müssen daher unternehmerisch denken und handeln, das heißt „eine Idee in ein Vorhaben umsetzen, das wertschöpfend ist“, wie es einer meiner Kollegen einmal definiert hat.
Musikerinnen und Musiker sind dazu aufgefordert, mit Ausübenden in anderen Kunstbereichen und branchenübergreifend in anderen Bereichen der Gesellschaft zusammenzuarbeiten (z. B. im Gesundheitswesen, mit jugendlichen Straftätern, in Projekten mit Senioren etc.). Das ist eine Herausforderung, bietet aber auch hervorragende Chancen, um neuartige Tätigkeiten auf künstlerischem Gebiet zu entwickeln. Zweifellos genügt es heute nicht mehr, Talent und viele künstlerische Fertigkeiten zu besitzen, um angesichts der unterschiedlichen Anforderungen als Berufsmusiker erfolgreich zu sein. Musikerinnen und Musiker brauchen übertragbare Fähigkeiten oder Lebenskompetenzen wie Selbstmanagement, Entscheidungs- und Geschäftskompetenzen.
Ein Blick in das heutige Berufsbild eines Musikers zeigt, dass das Aufkommen der Portfolio-Karriere, in der ein Musiker verschiedene Formen von beruflichen Tätigkeiten miteinander verbindet, die mit Abstand wichtigste Entwicklung darstellt. Dabei ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass dies nicht bedeutet, dass Musiker nicht in der Lage sind, Arbeit zu finden, sondern dass dies den gesellschaftlichen Wandel widerspiegelt.
Die bekannteste Kombination in einer Portfolio-Karriere ist die des ausübenden und des lehrenden Künstlers. Doch wir begegnen auch mehr und mehr Community-MusikerInnen. In vielen europäischen Ländern verzeichnen wir einen Anstieg von Tätigkeiten von KünstlerInnen in einer breiteren Gemeinschaft. Diese Entwicklung hat ihren Ursprung in Großbritannien und begann vor einigen Jahrzehnten.
Statt von Community-MusikerInnen zu sprechen, möchte ich sie lieber Musikerinnen und Musiker für ein neues Publikum nennen. Diese MusikerInnen beschäftigen sich mit einem anderen Publikum als dem in den Konzertsälen. Dieses neue Publikum findet sich beispielsweise in Krankenhäusern, bei der Sozialfürsorge, in Gefängnissen, Altenheimen und an anderen Orten. Eine gute Möglichkeit, sich auf ein neues Publikum einzulassen, sind kreative Musikworkshops. Kreative Musikworkshops werden durch die Ansicht gestützt, dass der improvisatorische Charakter kollaborativer Ansätze in Workshops dazu führen kann, dass Menschen sich kreativ ausdrücken, wodurch ein Gefühl gemeinsamen Eigentums und ein Gefühl der Verantwortung sowohl gegenüber dem Prozess als auch gegenüber dem Endprodukt des Workshops1 entwickelt wird. Der Austausch von Ideen und Fertigkeiten unter den Teilnehmern (partizipatorisches Lernen) ist ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses.
Neue Rollen
Eine Portfolio-Karriere mit sich überschneidenden Tätigkeiten im bunten Berufsalltag macht es für Musikerinnen und Musiker erforderlich, mehrere Rollen gleichzeitig zu übernehmen. Diese Rollen hängen miteinander zusammen, wie z. B. die eines:
– Innovators (Forschers, Erschaffers und Risikoträgers);
– Identifizierers (von fehlenden Fähigkeiten und Mitteln zur Auffrischung);
– Partners/Mitwirkenden (innerhalb von Partnerschaften);
– reflektierenden Ausübenden (der sich mit Forschung und evaluativen Prozessen befasst);
– Partizipierenden (der beispielsweise mit professionellen Kunstausübenden, Studierenden und Lehrpersonen im Dialog steht);
– Verbinders (in Bezug auf Kontexte, in die MusikerInnen eingebunden sind);
– Unternehmers (und Arbeitsplatzschaffenden).
Es liegt auf der Hand: Musikerinnen und Musiker müssen heute eine Art Chamäleon sein. Sie sehen sich Fragen gegenüber wie: „Wie kann ich flexibel agieren und Chancen in neuen und sich schnell ändernden kulturellen Kontexten nutzen?“ Oder der grundsätzlichen Frage: „Wer bin ich als Musiker und welchen Beitrag kann ich für die Gesellschaft leisten?“
1 Sean Gregory: „The creative music workshop: a contextual study of its origin and practice“, in: George Odam/Nicholas Bannan (Hg.): The Reflective Conservatoire. Studies in Music Education, London 2005.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2017.